AKTUELLE TICKER MELDUNGEN
100. Marathon für Christian Mai

Moin Mädels.
Gestern war Jubiläum. Mein 100. Marathon, mit der Start-Nr. 100; und das Ganze in Duisburg, wo ich 1998 auch meinen ersten Marathon gelaufen bin.

Die Vorgeschichte schien blass zu werden. Ich hatte Enschede als lange Strecke und emotionalen Höhepunkt in der Vorbereitung; durch die Begleitung unserer Anfängertruppe bin ich zwar nie allzu lang aber einigermaßen regelmäßig gelaufen. Ich fühlte mich ganz gut und wollte letzten Sonntag dann zumindest einmal auch über 20 km kommen. Alles hätte gepasst (wie langweilig).

Doch Freitags vorher merkte ich meinen Hals anschwellen; mit meiner Stimme hätte Ivan Rebroff neben mir blass ausgesehen. Samstags meinte ich erst, es wird besser; nachts bekam ich aber heftige Halsschmerzen und Schluckbeschwerden; Bronchitis. Die Probleme habe ich ab und an; in dieser Heftigkeit war mir aber nachts bereits klar, dass ich Antibiotika brauchen werde und Sonntag nicht zum Lauftreff kann. Da war mein ganzer Trainingsplan schon mal im Eimer (vielleicht hätte ich mir auch Anabolika verschreiben lassen sollen).
Notdienst hatte eine Gynäkologin. "Nehmen Sie Platz", sagte sie.  ...  Gerne, da kein gewöhnlicher Stuhl anwesend war, ergänzte sie "Sie können sich ja auf die Liege dort setzen". Nachdem ich die Pillen geholt hatte, bin ich noch eben in Haldern vorbeigefahren, um mentale Unterstützung zu erfahren. Das machten Gitti und Willi. Sie gaben mir Salbei- und Hollunderbonbons, die mir weiterhelfen sollten, das Unvermeidbare hinauszuzögern; sie hätten erst nach Pfingsten wieder einen Termin für meine Beerdigung frei.

Bis Mittwoch wurde ich krankgeschrieben, meine Therapie bestand vor allem aus Schwitzen und Schlafen. Ein paar Tage konnten meine Beine schon mal üben, wie sie sich fühlen, wenn sie gerade einen Marathon gelaufen sind. Dienstag ruft Jürgen an. Mir ist natürlich klar, dass der nicht mich erreichen wollte. Ob er mit Regina was wegen Sonntag absprechen wollte? Er umspielt die Situation, macht ´nen kurzen Gesundheits-Check und entwickelt mit mir einen neuen, detaillierten Trainingsplan: "mal schauen, ob und was jetzt noch geht, Freitag besser nicht in die Sauna und: Hauptsache es ist genug Fleischsalat im Haus".

Auf jeden Fall war die Taktik für Duisburg frühzeitig klar; schön vorsichtig, langsam angehen, bei erster Gelegenheit noch langsamer; und ich werde kämpfen müssen. Aufgrund der historischen Bedeutung dieses Ereignisses, und da ich nun eine Woche Zeit hatte, mich mental auf den Versehrtensport einzustellen, hatte ich vor, diesen Kampf zu gewinnen. Jetzt musste sich nur noch mein Gesundheitszustand meiner Planung anpassen.
Bis Freitag verlief das Ganze auch ganz ordentlich. Doch gibt es überhaupt einen Plan, den ich einhalten könnte. Wohl kaum; daher war ich plötzlich doch in der Sauna. Ich musste meinem Saunaclub ja noch offene Fragen beantworten, schließlich wollten die zugucken kommen. Den Samstag noch mal so ruhig wie möglich gestalten, und dann geht´s los.

Ich bin vor jedem Lauf nervös, doch am Sonntag war es fast wie beim ersten Mal. Vor allem war auch Skepsis mit dabei, ob die Kraft schon wieder reicht. Aber ich fühlte mich so, dass ich es irgendwie schaffen kann (mit Betonung auf irgendwie); sonst wäre ich nicht gestartet.
Vor dem Start fühlte ich ein Ziehen im linken Oberschenkel, nach dem Start zwickte die Hüfte, und ich hatte natürlich kein Ersatzgelenk dabei. Ich habe mir dann aber doch verkniffen zu fragen, ob vielleicht eine Altenpflegerin in unserer Startgruppe ist. Dann bin ich zunächst den 4-Stunden-Läufern hinterher, mal schauen, wie lange ich dranbleiben kann. Ab und an höre ich vom Straßenrand "Hallo Christian" und andere winkten zurück. Ich bin also nicht der einzige. Die Luft ist warm und feucht. Atmen klappt ganz gut, auch wenn ich merke, dass irgendwo hinten im Nasen- und Rachenraum noch nicht alles frei ist. Ich laufe, laufe, laufe; dann kommt ein Schild: 5 km. Wenn ich es bis hierher geschafft habe, mach ich den Rest auch noch.
Bei km 10 ruft einer "da ist ja der Christian"; an der provokanten Stimme höre ich, dass nun aber ich gemeint bin. Auch wenn ich ihn mit Helm und Sonnenbrille kaum erkenne, es ist unser Lauftreff-Chef Jürgen, der mit seiner Triathlon-Fitz mal kurz nach Duisburg gekommen ist. "20 Mann sind noch hinter dir," sagt er; na dann lasse ich nur noch 19 an mir vorbei. Ich gebe ihm ein kurzes Interview, erzähle ihm, dass ich beim Atmen etwas pfeife, bislang noch ganz gut dabei bin, aber das Tempo wohl nicht mehr lange halten werde. Einen Plan B habe ich bereits; in Duisburg gibt es einen Schlussläufer, der auf die Zielzeit von 5:30 h läuft und eine rote Laterne trägt. Im Zweifel hänge ich mich an den dran und frage ihn dann auf der Zielgeraden, ob er mich die Laterne tragen lässt. Jürgen macht noch ein paar Fotos, ich versuche, beim Röcheln zu lächeln.
Bei km 17 geht es über eine Brücke nach Homberg; Brücke hoch fühlte sich wie ein Hochgebirgslauf an. Ich nehme Tempo raus; ich laufe nur so, dass ich meinen Kreislauf nicht zu spüren bekomme.

Irgendwann sehe ich die Halbmarathonmarke; ich tröste mich wie üblich damit, dass es gleich ja nicht mal mehr die Hälfte ist. Doch ich sollte mehr als Trost bekommen, denn ich höre wieder was: "Da isser!". Da waren ja auch noch genug vor mir. Dann sehe ich hektisches Treiben; die eine links sieht aus wie Anja ... der daneben wie Stefan. Da sind auch Veit und Katja. Das stehen auch keine Werbedinger, das sind unsere Lauftreff-Fahnen. Moment, wenn rechts auch ´ne Fahne ist ... da ist Brita, und Andrea. Schon bin ich mitten im Lauftreffgetümmel; Grete und HU, Josef, Karl, Jürgen, noch´n Stefan. Große Schmuserei und keiner beschwert sich, das ich schwitze. Ne watt schön. Das hat auf den nächsten km natürlich nochmal gepuscht; nicht dass ich schneller gelaufen bin, aber ich habe nicht mehr daran gedacht, dass ich schon ganz schön schlapp bin. Ich weiß gar nicht, ob ich alle gesehen habe; wenn Josef da war, dann war die mit Sonnenbrille ganz vorne vermutlich doch Mandy. Und hinter Brita stand ein dunkler Krusselkopp; war das Janusz? Kurz darauf sehe ich Irmi und Ludger. OK, die haben sich auch sehr bemüht, blieben aber deutlich unter dem Geräuschpegel der großen Meute.

Mittlerweile steht die Sonne hoch am Himmel; es ist heiß und trocken. Mein Hals ist jetzt frei, aber ich laufe ziemlich langsam. Irgendwo da, denke ich an meinen Tischtennisverein, der auf dem Reeser Stadtfest aktiv ist. Terminlich war ich ja nun leider gebunden, sonst hätte ich auch da ausgeholfen.
Irgendwann ist Jürgen wieder da. Ich schwärme von meiner Begeisterung wegen des Halbmarathon-Empfanges und vermute, dass ich vielleicht bei 4:30 h ankommen kann. Er sagt, ich sehe noch gut aus. Er kann nicht nur am Telefon schlecht lügen.
Ich nehme mir vor, bis 30 km keine Gehpause zu machen. Ich halte sogar bis km 33 durch. Bei km 34 biege ich um die Ecke ... und mich empfängt wieder eine Lauftreffabordnung. Neu dabei sind Regina und meine Jungs und die Familie Hagedorn. Kurz darauf stehen Jürgen, Karl und Dirk an der Strecke. Dirk hat die Halbmarathonmedaille um, mit einem schwul-rosa Bändchen; was meiner Motivation nicht förderlich ist. Wo ist Helti, frage ich ihn. Sie war anne Bude, Eis und Cola kaufen, und da kam sie auch schon angerannt. Ich rufe ihr zu, dass ich ihr jetzt nicht entgegen laufen werde; die Kraft brauche ich später noch.
Karl begleitet mich ein paar km; Jürgen fährt nebenher und meint, Karl würde mich ganz schön bremsen. Ich bin froh, dass er das macht. Dann erinnere ich mich daran, dass wir ja ein Lauf- und Walking-Treff sind und verschnaufe ein bisschen beim Gehen bzw. Walken. Beim schnellen Gehen schaffe ich ein ähnliches Tempo wie beim langsamen Laufen. So ganz langsam gehe ich offensichtlich auch gar nicht, denn Karl meint, dass er lieber langsam läuft als neben mir her zu gehen. Und ich schaffe so ein für die Umstände passables Tempo und spüre keine Anstrengung; mehr noch, ich kann dabei entspannen. Das kannte ich so auch noch nicht.
Irgendein Schlagerfuzzi singt live an der Strecke; er kündigt seine im Vorjahr herausgekommene Single an, die da heißt "Geh doch". Mach ich doch längst. Als er anfängt zu singen sage ich Karl allerdings, dass ich gerade einen Motivationsschub für einen Zwischenspurt habe. Ich laufe ja eh immer mal wieder, wenn die Zuschauer es fordern. Aber flottes Gehen, geht besser.


Dann sind die nächsten Lauftreffleute an der Strecke. Jetzt weiß ich auch, warum ich so langsam voran komme; bei der ganzen Schmuserei verliere ich natürlich unglaublich Zeit. Aber so bleibe ich auf Wolke 7. Ich bekomme ´ne Dose Cola. Hoffentlich geht das gut; beim letzten Mal habe ich die etwas später im Gulli wieder entsorgt. HU und vor allem Gretchen lösen Karl ab; jetzt habe ich meine Altenpflegerin. Und sie legt auch gleich los: "Wie fühlst du dich? Hast du genug getrunken? Was sagt deine Pulsuhr?..." "Super. Ja. Hab ich nicht." Also hat sie mir beim Laufen auf der Strecke den Puls gemessen. Sie meinte aber, dass wohl alles in Ordnung sei (@Gitti und Willi: bis nach Pfingsten sollte demnach klappen).
An der nächsten Verpflegungsstation gönne ich mir ein Iso-Getränk; in meinem Becher stimmt aber die Mischung nicht. Das schmeckt wie ganz viel Iso-Brausepulver mit etwas Wasser. Bääh. Zum Glück gibt es kurz darauf nochmal was, und ich kippe einen großen Becher lauwarmes Wasser nach. Aber es fühlt sich so an, als ob die süße Brause im Magen weiter schäumt. Wir gehen weiter; gelaufen wird nur in kurzen Abschnitten. Ich werde mich baldmöglichst um ein politisches Amt bewerben; dann kann ich so was beim nächsten Mal aussitzen. Ein Stück vor uns sehen wir das 41 km-Schild. HU sagt: "noch 1.250 Meter, sollen wir wieder laufen?". "Frag in 1.200 Metern noch mal." Kurz vor dem MSV-Stadion fange ich automatisch wieder an, zu laufen, denn ich sehe junge, hübsche Cheerleader. Daneben einen ollen, eumeligen Knaller mit Mikrofon. Er kündigt mich allen Leuten an, erkennt und erwähnt, dass ich meinen 100. laufe; ein wahnsinnig netter Kerl.
HU und Gretel wollen aussteigen, aber ich möchte sie mit ins Stadion nehmen. Plötzlich steht ein Irrer auf der Strecke und will mich umrempeln. Nein es ist Jürgen, der mir einen dicken Blumenstrauß in die Hand drückt (den soll ich wohl für ihn ins Stadion tragen).
Im Stadion sehen die schon Angekommenen die Blumen und meine Start-Nr.; und gratulieren alle herzlich. Auf der Tribüne steht mein Saunaclub, der extra ein Bettlaken geopfert und als Riesenbanner beschriftet hat, um mich zu empfangen. Ich schwebe ins Ziel. Die ganze Schmuserei auf der Strecke und das Schleppen der schweren Blumen haben meine Zeit natürlich stark beeinträchtigt. Aber die Zeit ist mir sowas von egal; ich wusste, dass es schwer wird, und nun haben meine Familie, der Saunaclub und insbesondere der halbe Lauftreff es mir soo leicht gemacht.

Ich gehe erst zum Nachtanken an den Getränkestand, dann zurück ins Stadion und klettere auf die Tribüne zum meinem Saunaclub. Hinter der Tribüne ist es sogar schön schattig und da kommt es da zur großen Familienzusammenführung: Regina, die Kids, Saunaclub und plötzlich auch wieder die Lauftreffler; und ich als kleiner Schneekönig mittendrin. Mein Endorphinpegel hatte gar keine Chance wieder auf Normalniveau runter zu kommen. Ich habe eine Extra-Medaille vom Lauftreff bekommen, ein T-Shirt, auf dem alle unterschrieben haben und natürlich das Saunaclub-Banner. Als besonderes Highlight habe ich Regina den Blumenstrauß geschenkt.  Erst eine ganze Zeit später haben wir uns wieder getrennt, weil draußen auch noch ein paar Leute stehen. "Wir treffen uns gleich da". Ich klettere die Tribüne wieder runter, gehe im Stadion durch die Sonne zum Tor nach draußen, merke jetzt erst, wie platt ich eigentlich bin, und da meldet sich mein Kreislauf. Ich lege mich kurz auf eine schattige Wiese, glaube, dass es wieder geht, hole mein Finisher-Shirt ab und gehe raus. Zu meiner Überraschung hat sich die Horde um einen Bierwagen versammelt.
Das bunte Treiben geht weiter; Jürgen zieht sich unser Lauftrefftrikot über, und nun werden erstmal offizielle Fotos gemacht. Soweit ist alles gut, nur mein Kreislauf gibt keine Ruhe. Gegenüber sehe ich eine Bierzeltgarnitur mit der dringenden Einladung, mich hinzulegen. Einige knipsen mich auf dem Sterbebett (@Gitti und Willi: ganz ruhig, ich habe an euren Terminplan gedacht). Aber dann schaltet sich meine Altenpflegerin ein. Die Bank wird in den Schatten getragen, ich werde reanimiert und mein Finisher-Shirt zum Kopfkissen umfunktioniert (ist ja ein Funktions-Shirt); zum Glück hatte Grete keine Infusion dabei, sonst hätte sie mich noch an den Tropf gelegt. Es ging dann auch wieder besser. Irgendwann war Aufbruchstimmung; die Halderner mussten zum Bahnhof, Jürgen musste auf seine Fitz. Nu hat er so viel Geld für so sein Mega-Carbon-Bike ausgegeben, und das Ding kann mal nicht mal zusammenklappen.  
Dann fällt meinem Saunaclub ein, dass sie doch zwei Pullen in der Tasche haben. Und schon kriege ich eine Sektdusche vom feinsten. Maik schüttelt die Flasche und "schießt" mich mit dem Strahl gründlich von oben bis unten ab. Rüdiger ist pragmatischer und kippt einfach alles auf mich drauf und hinten ins T-Shirt. Ich stinke wie ein Iltis und klebe wie ein Bär; aber mein Kreislauf hat sich so erschrocken, dass er mich im Moment nicht mehr ärgern konnte. Zugleich nahm der Drang zur Dusche nun Überhand.

Die warme Dusche war erholsam. Leider auch für meinen Kreislauf, der sich sofort wieder meldete; aber nun merkte ich endlich, welches Problem der eigentlich hatte. Vermutlich noch wegen des Cola/Iso-Brause-Gemisches drehte sich mir nämlich spürbar der Magen um. Wo ist das nächste Klo, das schaffe ich. Ein kurze, dünnflüssige und grün-gelbe Magenentleerung verschafft mir und meinem Kreislauf Erleichterung. Aber schlapp bin ich immer noch.
Jetzt geht´s nach Hause. Da meldet sich der Saunaclub; sie kommen noch auf ein Bier vorbei (zum Glück kam vom Lauftreff keiner; ich hatte meine Biervorräte überschätzt; aufgeschoben ist ja nicht aufgehoben). Sie meinten, ich sähe jetzt aber wieder viel besser aus, als vorhin auf der Bierzeltgarnitur. Ob ich nicht einfach hätte schneller laufen können; der Sieger hätte 2:30 h gebraucht und sah nicht so blass aus, wie ich. Na toll, das war ja auch ein pechschwarzer Kenianer.
Glücklicherweise fühlten sich die anderen auch so, als wären sie gelaufen. Und so konnte ich um halb 10 ins Bett. Heute fühle ich mich eigentlich normal. Schwere Beine habe ich nicht, weil die sich ja nicht anstrengen mussten; ob mein Kreislauf welche hat, kann ich nicht sagen. Ich arbeite nur so, dass ich meinen Kreislauf nicht zu spüren bekomme. Dementsprechend hat er mir noch nichts gesagt.

Vielen Dank an alle, die diesen Tag für mich so schön gemacht haben.
Bis bald.
Christian