Mannschaftsfahrt der "Die 9 muss stehn Truppe"

… und noch mal nach Leiwen

Nach diversen Umbauten in den hinteren Herrenmannschaften des TTV sah es zunächst so aus, als ließe sich der bizarre Erfolg unserer Mannschaftsfahrt aus dem Vorjahr nicht wiederholen. Felix Göcking hat wegen seines Umzuges nach Münster zumindest zwischenzeitlich aufgehört, und die restlichen sechs Leiwener Helden verteilten sich nun auf die dritte, vierte und fünfte Mannschaft. Die Voraussetzungen waren insofern durchaus nicht gerade rosig, doch sehr früh in der Saison wurde der Gedanke konkret, dann eben eine mannschaftsübergreifende Fahrt zu machen. Da eine Mannschaftskasse hierfür nicht gerade praktikabel war, konnte man nun monatlich für eine gemeinsame Fahrt ansparen, die – das war sehr schnell klar – wieder nach Leiwen gehen sollte.

Insbesondere Lucas war skeptisch, da das Programm und das Publikum nicht zwingend den Vorstellungen eines 19-jährigen Jungerwachsenen entsprechen würden; ob wir nicht besser nach Mallorca fliegen könnten. Doch mit Flug, Hotel und gesondert zu bezahlender Verpflegung wird das nicht zwingend ein günstiges Vergnügen; und wenn es billig zu haben sein sollte, dann ist es nicht zwingend für Rollstuhlfahrer und ältere Familienväter geeignet. Nein; im Rest der Truppe gab es eigentlich keine nennenswerte Suche nach Alternativen. Für € 300,- gibt es nach rd. drei Stunden Gesamtfahrtzeit eine sehr ansprechende Unterkunft, umfang- und abwechslungsreiche Verpflegung, eine sehr breite Getränkeauswahl, die sich kaum abarbeiten lässt, und ein breit gefächertes Rahmenprogramm all inclusive.

Andre hatte Termine gecheckt und festgestellt, dass die Bude gut ausgelastet ist und wir zu diesen Bedingungen nicht mehr allzu viele Auswahlmöglichkeiten haben. Es blieb eigentlich nur der 11. bis 13. Juli 2014. Und so wurde dieses Wochenende frühzeitig geblockt. Andre, Andreas, Dennis und ich bildeten den „alten Kern“, der durch die hoffnungsvollen Nachwuchstalente Kajo und Tille als Neuzugänge ergänzt wurde. Bei Dimitrij war anfangs noch nicht klar, ob er mitkommt; letztlich zog es ihn jedoch auf den ostukrainischen Hof seines Großvaters. Wir wünschen ihm, dass sich seine oft geäußerten pazifistischen Grundwerte dort durchsetzen werden.

Und so waren es schließlich sechs mutige Recken, die sich zum Eurostrand Leiwen aufmachen wollten. Wie ich hörte, muss auch Kajo zunächst gedacht haben, dass es sich um einen Badeort an der holländischen oder belgischen Nordseeküste handeln sollte. Aber ich wusste ja nun aus dem Vorjahr, dass es ein Bungabungalowpark zwischen irgendwelchen Weinbergen in der wilden Prärie in Rheinland-Pfalz ist. Irgendwann wurde uns auch klar, dass unsere Fahrt zum finalen Wochenende der Fußball-WM stattfinden wird.

Da ich in den letzten Monaten nicht unbedingt regelmäßig den Weg zur Spiel- und Trainingsstätte des TTV gefunden habe, gab es auch recht wenig Gelegenheit, sich mal abzusprechen. Und so schrieb ich ein paar Tage vorher eine Email an die Jungs, ob es denn irgendwas gäbe, wozu ich beitragen könnte bzw. was ich beachten oder wissen sollte. Daraufhin hieß es, ich soll um 8:20 Uhr mit meinem Kulturtäschchen vor der Haustür stehen, und bis dahin noch ordentlich Karaoke üben; mehr bräuchte ich nicht wissen. Für den, der es nicht oder nicht mehr weiß: im letzten Jahr hatte Mogli groß angekündigt, am Karaokewettbewerb teilzunehmen um sich anschließend rechtzeitig aus dem Staub zu machen. Damals wurde ich in einem beispiellos undemokratischen Verfahren ohne Widerrufsrecht auserwählt, unseren Mogli hierbei zu ersetzen. Bei lediglich zwei Mitstreitern, die sich zudem als kaum konkurrenzfähig erwiesen, konnte ich als Elvis-Double gewinnen und bekam dafür einen supertollen, großen, weißen Stofftiger, den ich mir schon immer ganz doll gewünscht hatte. Aber immerhin gab es das Gerücht, dass man eine Kiste Bier auf den Bungalow bekommt, wenn man den Tiger wieder zurück bringt.

Also stand ich Freitagmorgen um 8:20 Uhr mit Kulturtäschchen, Tiger und blonder Perücke vor der Haustür. Da ich bei der Aufstiegsfeier der 1. Herren den Heino gegeben hatte, hatte ich damit ja gleich auch ´ne Karaokeeinlage für Leiwen. Wenn das Teilnehmerfeld so mickrig ist, wie im Vorjahr, könnte ich sogar noch zwei Zugaben bieten. Zunächst fahren wir wieder zum Roadhaus in Hamminkeln, um eine Kleinigkeit zu frühstücken. Mit einem Bierchen danach und einem Gruppenfoto mit Tiger, sollte sich auch die lange Fahrt ertragen lassen.

Andre, Kajo und ich hatten zwar die grüne Kiste mit Grundnahrungsmitteln im Auto; unterwegs waren die Flaschen aber nur im anderen Auto in Gebrauch. Andreas ist gefahren, und Tille ist nicht so der Bierfreund. Bei zwischenzeitlichen Pausen gab es dann aber dennoch für alle etwas. Und im gleichen Raiffeisenmarkt wie letztes Jahr füllen wir unseren Grundnahrungsmittelvorrat wieder auf, damit wir im Bungalow nicht unteralkoholisieren. Unser Tiger sollte ja einzulösen sein; doch kaum angekommen gehen wir mit Tiger zur Rezeption. „Oh wie niedlich“, sagen viele andere Besucher; aber auch den Damen an der Rezeption fällt nichts Besseres ein. Kurz darauf gehen wir mit Tiger ins pralle Partyleben, und der DJ begrüßt uns deshalb auch gesondert; aber es reicht nur für den Hinweis, dass wir den offensichtlich im Vorjahr gewonnen hätten. Dass man ihn gegen Lebensmittel einlösen könne, war überhaupt kein Thema. Und dafür habe ich die scheiß Mieze nun ein Jahr behütet und ständig im Weg liegen gehabt.


Aber dafür bekommen wir neue T-Shirts vom Veranstalter; alle Leiwen-Besucher bekommen welche. Sie sind weiß mit schwarzen Streifen, wirken ein bisschen wie Fußball-Nationaltrikots und alle mit der Rückennummer 12. Vorne konnte man was Individuelles drauf drucken lassen, bei uns standen unsere Namen. Ich habe das Ding auch gleich angezogen, bevor es an den Bierstand ging. Ich denke, etwa die Hälfte der Leute hatte diese T-Shirts an. Die Musik ist leider Schlager-lastig; auch Trulla Helene wird immer wieder gespielt. Da fällt mir eine grausige Schnulze aus dem Vorjahr ein, vom der ich eigentlich dachte, sie erfolgreich aus meiner Erinnerung verdrängt zu haben. Ich frage Andre, da mir der besungene, typisch deutsche Nachkriegs-Frauenname nicht mehr einfällt. Mona-Jil, Mandy-Joe oder so was. Andre weiß sofort was ich meine, und dann habe auch ich die totale Erinnerung: „Ich kann dich einfach nicht vergessen Mary-Jane.“ Vermutlich lief das Lied auch mal; ich habe versucht, es zu überhören. Doch es gibt auch gut hörbares und sinnvolles deutsches Liedgut mit germanistisch ansprechendem, gar sozialkritischem Text: Micki Krauses „Geh ma Bier holen, du wirst schon wieder hässlich“.

Wir schauen uns um, treffen einen Damen-Kegelclub aus dem Vorjahr und Andre gefällt eine Dame in einer orangen Hose. Entgegen den Aussagen des Wetterberichtes heizte uns die Sonne ganz gut ein, und entsprechend flott lief es bei den Bierbestellungen. Kajo und ich belassen es bei kastriertem Bier (also Radler); ich lasse vorsichtshalber zwischendurch mal eins weg, damit ich nicht frühzeitig umkippe. Doch die anderen kommen langsam in Dennis´ Rhythmus. Nachdem wir irgendwie nicht zu Kaffee und Kuchen gekommen sind, freuen wir uns, als es um sechs endlich was zu essen gibt. Man sagt uns, dass 5 Damen rechts neben uns am Tisch säßen. Spätestens nun fällt Andre ein, dass er ganz rechts sitzen muss; … weil … damit sein Rollstuhl nicht mit den Tischbeinen … und so.

Die Tischnachbarinnen kommen zwar etwas spät, machen aber einen netten Eindruck, so dass sich eine nicht unangenehme Zweckgemeinschaft anzubahnen scheint. Es ist Zufall, doch fällt meinem geübten Auge sofort auf, dass eine eine orange Hose trägt. Hinter uns sitzt eine andere Dame, die mir irgendwie bekannt vorkommt und uns vorher schon aufgefallen war. Lange, zerzaust gestaltete Haare, breites Stirnband, Wildlederstiefel und ein Gesicht, dem man ansieht, dass die Dame über einen beträchtlichen Zeitraum schon einiges erlebt haben wird. An unserem Tisch wird fachlich diskutiert; im Rahmen einer völlig wertfreien und objektiven Sozialstudie spricht man auch über die Herkunft der Dame mit dem Stirnband. Die Runde kommt zu dem Ergebnis, dass es sich um Winnetou`s Schwester Apanatschi handeln muss. Zwar erscheint das mir auch als plausible Theorie, aber ich habe Zweifel; irgendwie kommt sie mir bekannt vor. Nach dem Essen beweisen die Veranstalter, dass genussorientierte Trinker nicht das gängige Kundenklientel sind. Kajo und ich bestellen je einen Havanna Club (auch wenn es „nur“ der 3-jährige Rum ist) und bitten darum, ihn nicht gekühlt in nur knapp gefüllten, angemessenen Gläsern zu bekommen. Doch wir erhalten ihn in fast randvoll gefüllten Ramazzottigläsern, eiskalt. Selbst als er zum Ende des Essens fast Zimmertemperatur erreicht hat, ist es noch kein Genuss.


Abends wird es kühler, und es spielt sich einiges mehr in den Innenräumen ab. Wohl auch da es beim Essen genug zu trinken gab, sehe ich noch recht früh am Abend Dennis auf einer der Sitzgarnituren im Zwischenflur. Er hat sein Smartphone in der Hand und sackt mit geschlossenen Augen immer wieder nach hinten weg. Ich lasse ihm die Ruhe, die er offensichtlich braucht. Andreas hört davon und macht Beweisfotos vom mittlerweile eingeschlafenen Dennis. Andre erwähnt wohlwissend, dass auf Mallorca das Handy schon weg wäre; und vermutlich auch gleich das Portemonnaie, das man in Leiwen ja nicht mal mehr braucht. Dennis erkennt die Situation und geht frühzeitig schlafen; vermutlich hatte er schon eine lange Woche, und dann ist man mit entsprechender Flüssigkeitszufuhr einfach platt. Ansonsten entwickelt sich der Abend wie erwartet. Die Musik wird deutlich besser und man ist halt im Trubel immer mit dabei; gelegentlich erwarten die neuen Bekanntschaften, dass man sie beim Zappeln begleitet; und unseren Tanzbär Andre braucht man da nicht zweimal bitten, insbesondere wenn ihn die orange Hose fragt. Und der halbe Saal trägt die weißen T-Shirts mit der Rückennummer 12.

Für die Besonderheit in diesem Jahr sorgen Kajo und Tille; sie bringen in diese Dauerparty eine wunderbare ausgelassene Ruhe hinein. Immer wieder ziehen sie sich zurück, um mal draußen zu sitzen und eine zu rauchen. Hätten wir Zigarren bekommen, hätte ich eine mit geraucht; aber im vorgenannten Raiffeisenmarkt und im Bungalowpark gab es leider keine. Dafür habe ich an der Außentheke Schwenker gesehen und bestelle für Kajo und mich einen Weinbrand aus solchen Schwenkern. Nicht bedacht habe ich wieder, dass hier bei den Gästen kein Genussempfinden vorausgesetzt wird; die Schwenker werden fast voll gemacht. Da dauert es etwas, bis der Inhalt handwarm und schmackhaft wird. Da schaffen wir noch manch andere Zigarettenpause mit demselben Glas. Irgendwann gegen zwei Uhr spricht mich einer im weißen T-Shirt mit `ner 12 auf dem Rücken an, der – anders als Dennis – den rechtzeitigen Rückzug nicht geschafft hat. „Hey guckma“, lallt er, strahlt über beide Backen und klopft mir auf die Schulter, oder er stützt sich ab. Sein Sprachzentrum hat er vermutlich an der Theke abgegeben: „Du hassa d´s gleische Tischört an wiich“ ist er völlig überrascht. „Jau, tatsächlich“, strahle ich zurück, „da haben wir beide ja wohl den gleichen Schneider.“ Er herzt mich und scheint glücklich, aber ich glaube nicht, dass er sich morgen noch an mich erinnert.


Mittlerweile sind unsere Schwenker leer. Kajo und ich einigen uns, dass es noch ein kleiner sein darf. Ich gehe wieder zur Theke und sage dem Kellner rechtzeitig und laut, dass er die Gläser bitte nicht so voll machen möge. Er versteht mich auch grundsätzlich; aber leider nur akustisch. Als er die Flaschen senkrecht mit der Öffnung nach unten über die Gläser hält meint er: „Sag stopp.“ Vor Schreck kann ich so schnell gar nichts sagen. Ich glaube, es war mein entsetzter Blick, der ihn nicht weiter kippen ließ; oder auch weil die Gläser ja ohnehin wieder voll waren. Die kriegen wir heute nicht mehr leer. Als Kajo mit Tille und seinem Glas in der Hand zum Bungalow geht, gehe ich noch mal rein. Es gibt endlich wieder was zu essen; nach dem üppigen Abendessen selbst gab es gegen 10/11 Uhr nochmal Gulaschsuppe und nun hat jemand Spiegeleier gebraten. Es ist durchaus ein Erlebnis, erwachsenen Männern mit nur wenigen Promille Alkoholgehalt im Blut dabei zuzusehen, wie sie versuchen, ein Spiegelei mit noch flüssigem Dotter erst auf den Teller und dann das, was da ankommt, von dort in den Mund zu bekommen. Die Betonung liegt dabei auf ´versuchen´. Einige versuchen es auch ohne den Umweg über den Teller. Sie werden Ersatzklamotten dabei haben.

Als ich wieder reingehe, sind Andre und Andreas nicht mehr da. Ich suche in den anderen Räumen, an den Theken und draußen; aber nix. Da mittlerweile auch keine Musik mehr spielt, vermute ich sie in unserer Hütte. Da es erst 3 Uhr ist, bleibt zwar Skepsis, aber ich nehme meinen Weinbrandschwenker und gehe heim; unser Bungalow ist gut zu erkennen, da wir ihn im Rahmen der Fußball-WM mit einer Deutschlandfahne geschmückt haben. Ein Kontrollgang zeigt mir, dass drei gut angekommen sind und meine Skepsis bezüglich des Verbleibs von Andre und Andreas berechtigt war. Aber suchen gehe ich sie nicht mehr; ich wüsste auch nicht wo. Also gehe ich ins Bett und stelle den Weinbrand sicher ab; falls man nachts Durst bekommt, sonst für`s Frühstück. Dennis hat ein paar Stündchen Erholung hinter sich und ist wach; wir quaken ein bisschen. Kurz drauf hören wir diverse Stimmen, die auf dem Weg zum Nachbarbungalow zu sein scheinen. Zwei Stimmen erkenne ich und denke, nun auch beruhigt einschlafen zu können. Doch dann hören wir, wie die Stimmen sich noch nebenan auf die Terrasse setzen. Dennis und ich schauen mal aus dem Fenster, was denn da los sei; aber uns ist klar, dass wir uns wieder hinlegen. Dann denke ich mir, dass der Weinbrand mit der Zeit natürlich an Aroma verliert, ziehe mich wieder an und gehe rüber. Soweit ich es mitbekomme, wohnen hier vier Damen, die uns eine Generation voraus sind; eine hat ihre Tochter dabei. Sie haben zu den kostenlosen T-Shirts mit Rückennummer 12 eine 5-Liter-Dose Bier für günstige € 15,- gebucht und wissen gar nicht, wie sie die leer kriegen. Wir helfen gerne und selbstlos; aber angesichts der Uhrzeit, der bereits konsumierten Getränke und da ich meinen Schwenker erst noch verarbeiten muss, ist uns Hilfe nur eingeschränkt möglich. Irgendwann nach vier macht Andre den Anfang und will ins Bett. Nach und nach trudeln auch die anderen Gastgeberinnen ein; darunter ist auch die vermeintliche Apanatschi. Und wieder überlege ich, woher sie mir so bekannt vorkommt. Doch ich überlege nicht mehr lange und gehe etwa eine halbe Stunde nach Andre ein zweites Mal ins Bett. Andreas muss es noch eine halbe Stunde später auch geschafft haben.


Mit unseren Tischnachbarinnen war abgemacht, dass gegen 9, halb 10 gefrühstückt werden soll. Das heißt, etwa eine Stunde vorher aufstehen. Als die Sonne mich weckt, muss ich also noch etwas Zeit rumkriegen. Da mich Bibi Blocksberg und der Tigerenten-Club nur bedingt interessieren zappe ich ein bisschen durch die Fernsehkanäle, gehe in Ruhe duschen, ziehe mich an und starte dann die Weckrunde. In den oberen Zimmern schafft man es noch nicht, mir die Begeisterung darüber auch zu zeigen. Doch Andre hat einfach ein feines Gespür dafür, die großen emotionalen Momente zu erkennen und unvergesslich zu machen. Er unterlegt diesen einzigartigen Augenblick dezent mit der passenden Musik uns singt: „Geh ma Bier holen, du wirst schon wieder hässlich“. Also gehe ich Bier für alle holen. Sollte nicht jeder Tag so wundervoll beginnen? Jeden Tag besoffen, ist schließlich auch ein geregeltes Leben.


Wir sind pünktlich beim Frühstück, unsere Tischnachbarinnen nicht. Wir frühstücken ausgiebig und lange; da es ab 10 Uhr wieder Bier gibt, brauchen wir uns auch über den weiteren Tagesablauf keine großen Sorgen machen. Aber mittlerweile ist mir eingefallen, woher ich Apanatschi kenne. Sie ist mitnichten Winnetous Schwester; sie ist die Zwillingsschwester von Keith Richards (leider hat keiner ein Foto gemacht; aber gleich kommt eins von ihrem Bruder, der quasi genauso aussieht wie sie). Wir setzen uns neben dem Essensraum auf die Terrasse, die sich als musikfreie Zone herausstellt, machen es uns gemütlich und bleiben bis nach dem Mittagessen sitzen. Während wir mit einer Mischung aus Ruhe und Tiefenentspannung den Tag genießen und im Wesentlichen dann was sagen, wenn man Getränke bestellt oder einem ein lustiger Spruch einfällt, zeigen sich bei unseren Tischnachbarinnen zwischenmenschliche Spannungen. Wir bekommen nicht alles mit, und da wir die Hintergründe nicht kennen, können wir die tief im Unterbewusstsein schwelenden Psychosen in der Kürze der Zeit ohnehin nicht therapeutisch behandeln. Interessant sind aber insbesondere die geschlechtsspezifisch unterschiedlichen Ansätze bei der Lösung wirklich wichtiger Menschheitsprobleme. So hatten wir z.B. jeder einen Schlüssel für unseren Bungalow; jeder konnte da rein und raus, wann er wollte. Doch so simple Lösungsansätze sind nichts für kultivierte Frauen mit Sozialkompetenz; den Zutritt zur eigenen Hütte kann man in einer funktionierenden Gruppe schließlich auch mit einem intelligenten System, Verständnis sowie entsprechender Kommunikation nachhaltig und erfolgreich mit lediglich zwei Schlüsseln organisieren. Also hatte eine einen Schlüssel in ihrer Handtasche und den anderen legt man zentral ab; in der Grünfläche vor dem Bungalow lag wohl ein roter Stein, unter den kam der andere Schlüssel. Das klang für uns zwar in Gottes Namen nach einem System, aber besonders ausgeklügelt fanden wir es nicht. Und was man so mitbekam, funktionierte es auch nicht; haperte es an Verständnis und Kommunikation. „Wer hat denn den Schlüssel?“ hörten wir immer wieder; „liegt denn der andere Schlüssel unter dem roten Stein?“

Um 2 Uhr hatten wir eine Bowlingbahn gebucht. Insbesondere Andrea, die vermeintlich älteste unserer Begleiterinnen, eine noch ziemlich flotte Oma, hatte mit reichlich Weinschorle und Ramazzotti dafür gesorgt, dass sie eigentlich nicht mehr mit zum Bowling kommen muss. Mit dieser Mischung käme sie ganz prima zurecht, meinte sie; sie hatte uns am Freitag schon davon überzeugt, dass ihre Selbsteinschätzung keinen rundum realistischen Eindruck hinterlässt. Sie kommt trotzdem mit. Auf dem Weg treffen wir einen Menschen vor der Tür zum Innenhof mit einem Mikrofon in der Hand. Etwas verwundert sprechen wir ihn an; doch irgendwie ist er nicht gesprächig, wirkt abgelenkt. Im Innenhof kündigen die Animateure einen Sänger an, der nun auftreten solle; und schließlich kriegen wir mit, dass das wohl der gebuchte Künstler ist, der gleich durch diese Türe zu seinem Publikum soll. Wir lauschen der Ankündigung; Jürgen Dieter oder so ähnlich. „Nein“, sagt er, „Jürgen Peter.“ Und dann fängt er auch schon an zu singen: „Ich kann dich einfach nicht vergessen Mary-Jane.“ Ach du Scheiße; ich versuche nicht respektlos zu wirken, aber wir müssen ja zum Bowling. Er geht durch die Tür und singt; OK wir können weiter. Auf der Bowlingbahn ist es allerdings sehr stickig. Ist die Lüftung defekt? Dadurch wird es kein besonderes Vergnügen, und wir sind froh als die Stunde rum ist. Und dann werde ich nervös; es wird es Zeit für Karaoke.


Anders als letztes Jahr gab es reichlich Meldungen; ich glaube es waren zehn Lieder. Und es waren ein paar richtig gute dabei. Als ich dran bin ziehe ich meine blonde Perücke auf, leihe mir aus dem Publikum eine Sonnenbrille und schmettere ´Blau blüht der Enzian´. Aber etwas später tritt einer als Robbie Williams auf; und der ist ganz nah am Original. Ich habe gehört, dass er in einer Band singt; man hört den Unterschied. Eigentlich braucht man gar nicht mehr abstimmen; und so holt Robbie sich den – nein, keinen Tiger - heute gab es einen Riesen-Teddy. Mein Fanclub – also der TTV und unsere Tischnachbarinnen – bescheinigen mir aber eine hervorragende Performance. Doch da sich weder Dieter Bohlen noch sonst ein Experte bislang gemeldet hat, war es aber wohl noch nicht mein ganz großer Durchbruch.

Danach wird weiter gefeiert. Andrea, die, die mit der Mischung aus Weinschorle und Ramazzotti gut zurechtzukommen glaubt, erzählt mir, wie froh sie ist, dass sie uns kennengelernt hätten. Wir wären echt nett, und sie würden nun nicht dauernd von anderen Kerlen blöd angemacht. Ich nicke zustimmend. Sie hat mir das schon ein paar Mal gesagt, und seitdem nicke ich oft zustimmend. Aber nun möchte sie mit mir tanzen ... mein gutes Herz gibt nach. Doch sie driftet immer weg, so dass ich sie beim Tanzen kaum halten kann. Wir sind im gepflasterten Innenhof, und die Tanzfläche liegt eine Stufe höher. Am Rand der Tanzfläche ist es minimal abschüssig; vielleicht ist das auch ein Grund. Ich tanze sie weiter in die Mitte, aber es wird nicht besser. Es ist wohl doch eher so, dass die Mischung aus Weinschorle und Ramazzotti nicht so gut mit ihr zurechtkommt. Und als Höchststrafe kommt wieder Helene Fischer; dieses Tanzen ist anstrengend und ich bin gleich auch atemlos. Um 6 Uhr gibt’s endlich wieder was zu essen. Danach wollen die Damen sich frisch machen; die eine oder andere ist schon weg. Doch wer hat denn eigentlich den Schlüssel. Die eine hatte den doch in der Tasche, aber dann muss wohl eine andere ihn genommen … na hoffentlich liegt der andere Schlüssel dieses Mal wirklich wieder unter dem roten Stein. Falls sie es in den Bungalow hinein schaffen, meint auch Andrea, sich vielleicht ein halbes Stündchen hinlegen zu wollen. Ich sage den anderen, dass sie, wenn sie liegt, sie besser liegen lassen sollen.

Aber die Steh-auf-Oma ist kurz darauf wieder da. Auch wenn die Damen vorher wohl Probleme hatten, alle in ihren Bungalow zu kommen. Das Schlüsselsystem hat wohl nicht ganz reibungslos funktioniert. Irgendeine rechtfertigt den Schlüssel nicht mehr gehabt zu haben, da sie von innen abgeschlossen habe und dann rausgegangen sei. Eine andere beschwerte sich daraufhin, dass man ja nun, wenn der Schlüssel von innen im Schloss steck, von außen nicht mehr hinein käme. Ich fürchte, solche Neurosen sind auch gar nicht therapierbar, halte mich da völlig raus und hole Andrea noch eine Weinschorle; den Ramazzotti besorgt sie sich schon noch. Und noch nie habe ich mich so über Zigarettenpausen gefreut. Kajo, Tille und ich nehmen immer wieder Tempo raus; unendlich genieße ich diese erholsame und kontrollierte Leidenschaft. Kajo und ich versuchen es nochmal mit Havanna-Club; und ich bringe tatsächlich zwei optimal, nur knapp fingerbreit gefüllte Schwenker mit. Wie ich den Kellner überzeugen konnte, will Kajo wissen. Die Flasche war einfach leer; und bevor er eine neue aufmachen konnte, um nachzuschenken, war ich schon wieder weg. Leider blieb dieser Erfolg ein Einzelfall.

Wieder drinnen, erzählt mir Andrea, wie froh sie ist, dass sie uns kennengelernt hätten. Wir wären echt nett, und sie würden nun nicht dauernd von anderen Kerlen …. Ich nicke zustimmend. Ab und an erzählt sie wohl auch was anderes; aber bei der lauten Musik und der mittlerweile mehr in ein Rauschen übergehenden Aussprache verstehe ich Inhalte nur bedingt. Doch irgendwann klappt das Nicken auch deutlich routinierter. Sie steht immer leicht nach vorne gebeugt, so dass man ständig Angst hat, dass sie vornüberkippt und mit der Schnauze auf die Fresse fällt. Auch beim Tanzen behält sie diese Schrägstellung bei, da bekommt Helenes ´Atemlos´ eine ganz eigene Bedeutung. So tanzen Kajo, Tille, Dennis und ich ab und an immer wieder mal abwechselnd um sie herum, und sind in ständiger Bereitschaft, sie aufzufangen. Andre war ja bei der orangen Hose gebunden. Die drei anderen Rettungstänzer sagen mir, dass Andrea ihnen schon diverse Male erzählt hat, wie froh sie ist, dass sie uns kennengelernt hätten. Wir wären echt nett, und sie würden nun nicht dauernd von anderen … . Bei Mannschaftsweltmeisterschaften im Nicken wären wir Favoriten.

Zu einer willkommenen Zigarettenpause sorge ich wieder für Getränke. Doch der Meister hinter der Theke kann oder will das, worum ich ihn bitte, einfach nicht verstehen. Dass um diese Uhrzeit bei einer all-in-Veranstaltung noch jemand Ansätze in Richtung kultivierte Mittelschicht des Proletariats klar aussprechen kann, ist man hier nicht gewohnt. Den ersten Schwenker macht er wieder viel zu voll. Doch mittlerweile bin ich krisenerprobt. „Halt!“ sage ich; und nach diesem Überraschungsangriff stockt er tatsächlich kurz, was ich sofort ausnutze. Ich reiße zwar nicht Weltherrschaft an mich, aber dafür den zu vollen und den noch leeren Schwenker; und dann teile ich den Weinbrand auf beide Gläser auf. Die sind jetzt zwar immer noch zu voll, aber es ist nun im wahrsten Sinne des Wortes nur noch halb so schlimm. Auch Kajo ist überrascht, wie ich denn wohl einen Ansatz von Trinkkultur in den Laden gebracht hätte. Ich erzähle ihm von der Weisheit, dass geteilte Getränke doppelte Freude bereiten. Um 3 Uhr macht die Musik Feierabend, und die letzten Getränke können bestellt werden. Etwas später wird es auch für uns langsam Zeit, und wir beweisen Schwarmintelligenz, indem wir alle sechs gemeinsam durch den Park zu unserem Bungalow gehen. Auf unserer Terrasse genehmigen wir uns noch ein Abschlussbierchen, als gegenüber die Musik wieder angeht. Da haben wohl welche eine eigene Anlage mitgebracht, die auch bei richtig Lautstärke ordentlichen Sound bietet. Später kommt aus dem Nachbarbungalow, in dem Keith Richards Zwillingsschwester wohnt, die Tochter und fragt, ob wir auch noch mit dort rüber gehen würden. Während die anderen den Weg ins Bett vorziehen, überlege ich tatsächlich kurz, ob ich vielleicht noch hingehe, aber ich frage mich auch, ob dieser Fete aufgrund der Lautstärke und diese Uhrzeit überhaupt eine nennenswerte Zukunft beschieden sein kann. Da sehe ich im Laternenlicht zwei Schatten durch den Park kommen. Gehen die beiden auch noch feiern? Im Gegenlicht der Außenleuchte des Bungalows erkenne ich die Konturen der Beiden; kräftige Statur, breite Schultern, sie tragen offensichtlich gefütterte Westen und vermutlich Schlagstöcke. Es ist der Sicherheitsdienst, der höflich aber bestimmt für Ruhe im Park sorgt. Ein weiteres Argument für mich, auch schlafen zu gehen, bevor es hell wird.


Als es ein paar Stunden hell ist, ist die Nacht auch endlich wieder vorbei. Ich mache mich in aller Ruhe fertig und dusche lange, denn die Jungs wollten heute nicht vor 8 Uhr geweckt werden. Ich lasse ihnen sogar ein extra Viertelstündchen. Dann bringe ich kurz Heino´s Bariton in Form und schmettere frei nach Leni Fischer ´Ahnungslos durch den Park´; wie gerne hätte ich jetzt noch eine Trompete gehabt. Mit Gefühlsregungen tun sich meine Sportkameraden noch etwas schwer; doch ich deute die feststellbaren Reaktionen einfach mal als freudige Zustimmung. Immerhin sitzen wir einige Zeit später in kompletter Mannschaft draußen auf unserer Bungalowterrasse und genehmigen uns – natürlich bis auf die Fahrer Andre und Andreas - einen Goldbrand; ein weitläufig unterschätzter Höhepunkt der Spirituosenkultur aus der DDR. Dann geht’s zum Frühstück. Aus dem Gebrabbel unserer irgendwann auch eingetroffenen Tischnachbarinnen hört man heraus, dass es wohl nachts noch Schlüsselprobleme gegeben haben muss. Wenn eine den ersten Schlüssel hatte, war die schon weg, und dann muss wohl eine andere den anderen Schlüssel genommen haben. Es sollen in den frühen Morgenstunden noch Ausgrabungen unter dem roten Stein stattgefunden haben. Man weiß nicht genau, wie tief man in dem neu geschaffenen Stollensystem ins Erdreich eingedrungen ist, aber der archäologische Erfolg scheint ausgeblieben zu sein. Irgendwie haben es letztlich aber wohl alle bis in ihr Bett geschafft. Doch in unseren Gesprächen hatte der Rote Stein spätestens jetzt Kultstatus erreicht.

Ab 10 Uhr gibt es draußen wieder Bier und Stimmungsmusik. Allerdings mehr in Richtung neuer deutscher Schlager, was eher dazu anregt, mehr zu trinken, damit man es nicht so mitbekommt. Auch Lenchen ist natürlich wieder mit dabei. Nix gegen Atemlos; das ist von ihr das einzige mir bekannte Lied, das was hat. Mit etwas anderer Aufmachung könnte das vielleicht sogar richtig gut sein; einfach nur nicht deutsch singen, damit man diesen sinnfreien Text nicht so raushört. Wir sitzen noch gemütlich zusammen und freuen uns darüber, dass genug Bedienungspersonal herumläuft; dann muss man die Getränke nicht selber holen. Nach dem reichhaltigen Frühstück hat kaum jemand Appetit auf das Mittagessen. Und so geht es am frühen Nachmittag Richtung Heimat. Da ich ja kein zweites Stofftier gewinnen konnte, frage ich bei den Kollegen mit kleinen Kindern nach; Tille möchte ohnehin lieber keins haben. Also mache ich das, was ich im Vorjahr eigentlich schon vorhatte; ich schenke Andreas den Tiger für sein schon vorhandenes und das noch kommende Kind. Bei einer Tankpause hätte ich Zigarren in der Tankstelle kaufen können, aber jetzt mit einem Schwenker im Auto klingt nicht so richtig gemütlich. Ich weiß auch nicht, ob es Andre recht gewesen wäre, wenn Kajo und ich in seinem Auto ´ne Zigarre qualmen. Den einen oder anderen Autobahnkilometer habe ich nur schemenhaft mitbekommen; so ein kleines bisschen Ruhe konnte ich noch nachholen. Schließlich war abends ja noch das WM-Finale, das dem Wochenende unserer Mannschaftsfahrt noch die Krone aufsetzen sollte. Besser da gewonnen, als beim Karaoke. Nach dem Spiel schaue ich noch etwa ein Stündchen die Feier und die Siegerehrung. Da Montag wieder ein Arbeitstag ansteht, bleiben mir dann noch rd. 6 Stunden Schlaf; etwa so viel wie in Leiwen insgesamt.

Die Mannschaftsfahrt war wieder etwas anstrengend, aber es war einfach schön.